1. Januar 2014

Die erste Gruppe Lesben aus der Türkei in Berlin

von İpek İpekçioğlu

1995-Ipek-Die erste Gruppe Lesben aus der Türkei in Berlin

Die erste Gruppe Lesben aus der Türkei in Berlin 1992-19951

Während eines einjährigen Großbritannien-Aufenthal- tes als Au-pair-Mädchen hatte ich im zarten Alter von 18 Jahren schließlich mein Coming-out. Die Distanz zu meiner Heimat Berlin und zu meinem Elternhaus erleichterte mein Coming-out entscheidend. In Groß- britannien hörte ich von einer türkischen Lesben- und Schwulengruppe, die ich vergeblich zu kontaktieren versuchte. Als ich nach Deutschland zurückkehrte, hatte ich das starke Bedürfnis, andere Lesben aus der

Türkei kennenzulernen. So begab ich mich auf die Suche.

Zu meinem ersten CSD in Berlin anno 1991 nahm ich meinen kleinen heterosexuellen Bruder mit und sprach fast jede Lesbe an, die nach meiner Wahrneh- mung ,türkisch’ aussah: „He, bist du türkisch? Bist du lesbisch? Dann lass uns sofort eine Gruppe gründen!“

Einige Türkinnen waren durch mein ofensives Verhalten dermaßen eingeschüchtert, dass sie sofort

zurückschreckten. Einige wurden misstrauisch: „Was will die von mir?“ Andere reagierten mit Aussagen wie: „Was hat mein Türkischsein mit meinem Lesbischsein zu tun? Ich brauche keine Gruppe.“ Es gab auch solche Reaktionen wie: „Ich will mit anderen Türkinnen nichts zu tun haben.“

Mir wurde schnell klar, dass es nicht einfach sein würde, eine Gruppe zu gründen. Anscheinend hatten sich die meisten Frauen daran gewöhnt, ihre lesbische Identität vorrangig in einem deutschen Umfeld oder versteckt zu leben, so dass viele mit der Thematik ,les- bisch und türkisch’ Berührungsängste hatten.

Ich gab Anzeigen in verschiedenen Zeitschriften wie z.B. Blattgold auf und ging zu Veranstaltungen in der Ho nung, anderen zu begegnen. Schließlich fand ich einen Raum, wo wir uns tre en konnten, und hängte Zettel in Frauenkneipen, im Schokocafé, in der Begine und in der Lesbenberatung auf. So formierte sich 1992 eine Gruppe von Lesben, die aus der Türkei kamen und in der Bundesrepublik lebten.2 Die meis- ten waren Migrantinnen der zweiten Generation, so wie ich.

Die Bedürfnisse der einzelnen Mitglieder waren unterschiedlich. Einige wollten ihr Türkisch verbes- sern, andere wollten Türkinnen kennenlernen oder sich eine eigene Community scha en. Mein Wunsch war in erster Linie, innerhalb dieser Gruppe das zu sein, was ich bin: türkisch und lesbisch. Eine Konstellation, die im Bewusstsein der bundesrepublikanischen Les- ben kein Thema ist. Fakt ist, dass immigrierte Lesben innerhalb ihrer Herkunftscommunity ihr Lesbischsein und innerhalb der deutschen Frauen- und Lesbensze- ne ihre ethnischen Identitäten nicht leben können. D.h. ein wichtiger Teil ihrer selbst muss in den meisten Fällen außen vor bleiben.

Durch die Gruppe hatten wir endlich die Gelegen- heit, beides zu leben, die Regeln selbst zu bestimmen und die für uns relevanten Themen anzusprechen. Für mich war es die Möglichkeit, mich mit anderen, die in einer vergleichbaren Situation waren, mit Themen wie Rassismus, Migration, Sexualität, Lesbischsein und dem Umgang mit der Familie gemeinsam auseinan- derzusetzen. Auch Alltagsprobleme wurden bespro- chen. Außerdem sind wir zusammen ausgegangen, haben gegessen und getanzt. Also sehr viel Spaß auf „türkisch“ gehabt. Nachdem wir uns und die Gruppe gegründet hatten, nahmen wir an Veranstaltungen wie z.B. dem Lesbenfrühlingstre en in Heidelberg, aber auch am Symposium der Frauen aus der Türkei in Deutschland 1995 teil. Wir wollten Präsenz zeigen und auf unsere spezielle Situation aufmerksam machen – was nicht unbedingt leicht war.

Leider hat sich die Gruppe nach zweieinhalbjäh- riger Existenz aufgelöst, obwohl sie uns allen sehr wichtig war. Die Bedürfnisse hatten sich auseinander- entwickelt: Einige wollten sich politisch engagieren und dabei ggf. an die Ö entlichkeit gehen, andere hingegen wollten keine politische Arbeit machen und begründeten dies damit, dass sie außerhalb die- ser Gruppe bereits genügend Kämpfe mit dem alltäg- lichen Rassismus, Sexismus und Heterosexismus zu führen hätten. Hinzu kam, dass einige befürchteten, durch die o ene politische Arbeit geoutet zu werden, was neue und weitreichende negative Auswirkungen für ihr Leben zur Folge gehabt hätte. Eine solche Argu- mentation spiegelt die Lebenssituation dieser Frauen als Lesben und Angehörige einer ethnischen Minder- heit wider. Ich fand die Existenz solch einer Gruppe an und für sich bereits politisch.

Zwar existiert diese Gruppe nicht mehr, aber alle Frauen sind ihren eigenen Weg gegangen, der jeweils mit Schwierigkeiten gesät war, und führen nun ein selbstbestimmtes Leben. Sie sind keine Objekte, son- dern handelnde Subjekte. Sie alle haben einen Weg gesucht und gefunden, ihr Lesbischsein, ihr Dasein als Immigrantin aus der Türkei, ihr Zweite-Generation-Da- sein und anderes, was diese Frauen an Identität und Kultur in ihrem Selbstverständnis und ihrer Lebens- weise ausmacht, miteinander zu vereinbaren und in ihren Alltag zu integrieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Frauen sich nicht mehr mit ihrer eigenen Situation und ihrem Selbstverständnis auseinander- setzen müssen.

Nach wie vor werden immigrierte lesbische Frauen, die nicht dem gesellschaftlichen Bild entsprechend konform leben, mit Klischeevorstellungen und der- gleichen sowohl von der Herkunfts- als auch von der Dominanzgesellschaft konfrontiert. Umso wichtiger ist es, dass sich neue Gruppen formieren.

(Endnoten)

  1. 1  Dieser Text ist ein Ausschnitt aus der Diplomarbeit „Les- bisch sein – Türkisch sein. Ein Widerspruch?! Selbst- bild lesbischer Migrantinnen der zweiten Generation aus der Türkei, die ihren Lebensmittelpunkt in der Bun- desrepublik Deutschland haben“ von Ipek Ipekcioglu eingereicht an der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Berlin 1997.
  2. 2  Die Frauen aus dieser Gruppe gehörten zu verschie- denen ethnischen und religiösen Minderheiten aus der Türkei. In einer unserer Diskussionen stellte sich heraus, dass sich nur eine einzige Frau in der Gruppe befand, die ,ausschließlich’ türkischer Herkunft war.