1. März 2016

Divide and Rule – wer teilt, wer schweigt?

von SchwarzRund

2016: https://schwarzrund.de/divide-and-rule-wer-teilt-wer-schweigt/

»It is not our differences that divide us. It is our inability to recognize, accept, and celebrate those differences.«

Audre Lorde

»Das wissen halt ganz, ganz viele nicht, es ist eure Verantwortung es zu erklären!« der Kaffee im Aufenthaltsraum meiner Werkstatt erkaltet in meinen frostigen Händen, jegliche Wärme zieht sich Richtung Bauch, die Extremitäten erkalten, Beispielhaft wie bei einer Bilderbuch-Panikattacke.
Mit der Verletzung kommt die Verpflichtung sie zu benennen, mit der Mehrfachpositionierung kommt die Verpflichtung sich zu positionieren, mit der Politisierung kommt die unbezahlte Bildungsarbeit – der Community zu liebe, ganz freiwillig unfreiwillig.

»Wenn du diese Verletzung nicht mehr erfahren willst, dann musst du dir halt die Zeit nehmen es zu erklären!« Ich dachte, diese Satzkonstellation hätte ich mit der Kündigung hinter mich gebracht. Jetzt ist das Jahr 2016, seit neun Jahren bewege ich mich mehr oder weniger in separatistischen Gruppen: Schwarze Family, Queere Wahlfamilie und Linksradikale Organisation um meine Hoffnung zu nähren weniger erklären zu müssen. Leider stellte es sich als vergeblich heraus, doch wo früher die Möglichkeit bestand erzürnt aufzuspringen und sich Luft zu machen, ist nun nur noch ein mehrstimmiges Wispern zu hören: »wenn du das jetzt benennst, dann, ja dann, wirkt wieder Divide and Rule, dann sagen wieder alle »ah, da haben wir’s: alle Queers sind Rassisten« oder »ah da haben wir’s: Links sein heißt weiß sein« und »alle Schwarzen sind cis ».

Jedes Aufbegehren, dass nicht zu 100% auf Kosten der Verletzten geht, ist falsch, ist Divide and Rule und irgendwie nicht okay. Wenn es da draußen auch nur eine Person gibt die ein passendes Stereotyp bereit hält, sei lieber leise, es wird ja doch nur ausgenutzt. Community bedeutet unbezahlt ohne Rücksicht auf sich selbst lehren und lieben!
Nur das diese Community-Love potentiell nicht allen vergönnt wird, was bringt es mir von weißen Queers geliebt zu werden und anderseits nicht akzeptiert zu werden weil Schwarz, weil dick, weil pan? Wo genau steckt der Rückhalt in der Linken für mich wenn am Ende des Tages mein Vater als F* bezeichnet wird der Hilfe braucht um in diesem weißen Land anzukommen? Wo genau ist die Sicherheit in der Schwarzen hetero cis Community wenn meine Identitäten nur geduldet aber nicht verstanden, ignoriert aber nicht geliebt werden? Jede Kritik an einer Community kann als Divide and Rule gelesen werden, Silencing 101. Sie kann aber auch als das wahr genommen werden, was sie ist. Das ehrlichste Liebesgeständnis das ein Mensch zu geben im Stande ist, denn wenn ich mein Wissen, meine emotionalen Ressourcen, meine Hoffnung und meine Zeit investiere um zu kritisieren, dann muss das Objekt der Kritik mir am Herzen liegen. Wir Mehrfachdiskriminierten selektieren stark was wir kritisieren, und am Ende des Tages ist unsere Kritik immer eine Form von Anerkennung: ich weiß um die Bedeutung dieser Community, deswegen erkämpfe ich mir mit Schweiß und Tränen meinen Platz in ihrer Mitte, deswegen lehre ich ohne Bezahlung, deswegen ertrage ich Verletzungen. Deswegen beschäftige ich mich auch nicht mit einer generellen Deutschland-Kritik.

Meine kleine Seifenblase beschützte mich davor zu realisieren, dass nicht alle Menschen queer groß gezogen worden sind, meine Vergangenheit in der vieles unausgesprochen dekonstruiert war lies die Seifenblase ganz trotz all der Stiche, bis zu diesem Sommer. Sie sitzt vor mir, ist mindestens 20 Jahre jünger als die wichtigen Erziehungspersonen in meinem Leben, die bei den Wörtern »Mann« und »Frau« nur müde anfangen zu kichern. Sie erklärt mir, das binäre Klos wichtig sind und viele, viele Funktionen des Raumes Klos die nur Binär lebbar wären. Sie erklärt mir das es halt alles ganz neu für alle wäre und das die Mode »Trans oder_und queer zu sein« ältere Leute verwirre. Und auch die Kinder, und überhaupt Klassismus. ich wüsste das ja alles nur wegen meiner klassistischen Privilegierung. Auch Trans * sein ist irgendwie Klassenprivileg, klingt im Unterton mit, so Menschen wie sie, die könnten das schon lernen aber eben nicht -ja wer eigentlich? Das reproduzierte Bild des armen bildungsfernen Afrikaners schwirrt über unseren kolonialisierten Köpfen und mir wird mit jeder Sekunde schlechter. Ich denke an all die Geschwister auf dem Kontinent dank derer ich lernen durfte, dass Genderbinärität ein koloniales neues Konzept ist, eben eine Mode die sich als schon immer dagewesen verkaufen will. Ein bisschen referiere ich darüber wie problematisch ihr Konzept von Klasse ist, wie die Situation im Bezug auf Trans* und queer Personen diesbezüglich ist, dass etwas nicht wissen auch Privileg sein kann weil es eben keine Notwendigkeit gab etwas zu lernen, da mensch innerhalb der eigenen Community die konstruierte Norm ist.
Ich denke im Stillen daran, dass die Trans*personen die gerade Zielscheibe ihrer Abwertungen werden im Bezug auf Klasse schlechter gestellt sind wie sie, dass Schwarze Trans*Geschwister in allen Klassen ermordet werden, und #blacklivematters zu selten gefolgt ist von #blacktranslivematters, das #translivematters zu selten gefolgt ist von #blacktranslivematters.

Im Sekundentakt rattert sie runter, wie sehr sie mich unterstützen wolle, ihn ja trotz seiner Identität schätze und beendet doch jeden Satz mit »es ist halt was Neues«.

Auf einmal steht ein neuer Satz im Raum »wirkliche Geschlechter und falsche« und das dies halt für Kinder nicht wichtig sei. Das solche ja nie Eltern wären, ich fühle wie meine Ränder sich auflösen, ich verschwinde in ihrer Definition von Existenz und Wirklichkeit.
Bin nicht mehr, war nie.
An uns vorbei drängen sich andere Kids queerer und Trans*Eltern, alle nur Einbildung. Alle nur neu, gerade entschlüpft um ihr den wichtigen Raum Klo streitig zu machen mit ihren überzogenen Forderung Mensch sein zu dürfen.
Nachts schleiche ich mich aus meinem Zimmer, höre das Rascheln, eine Frau, letztes Jahr noch Teil der queeren Arbeitsgruppe gewesen, dreht sich erschrocken zu mir um, in ihrer Hand zerknittert gerade das Blatt auf das Kinder »All Genders« gestempelt haben. Ihre Schulter rammt die meine, ich verharre. Ich begreife erneut, das lesbisch nicht queer heißt, dass Community manchmal nur fordernde Liebe der Privilegierten heißt und Kälte gegen jene, die Anerkennung fordern.
Vor mir prangt nun wieder das Genderschild das Lisa Simpson darstellt, zum dritten Mal, nun auf frischer Tat ertappt, nun habe ich Gender-Lisas Rückkehr erlebt. Ich sollte erklären, lehren, aufklärend das Gespräch suchen und mit meiner Ruhe überzeugen, doch stattdessen reiße ich die Gender-Lisa ab, werfe sie in den Mülleimer des Bades, dort liegen zerknüllt weitere Kartoffelstempelschilder. Wenigstens weiß ich jetzt warum meine Extremitäten kalt sind, Panik nun auch an diesem Ort, der Wärme versprechen will.
Danach sitze ich zu hause, danach ist immer auch davor, schreiben andere freudig die in diesem Zusammentreffen das erste mal Ruhe gefunden haben. Danach ist immer auch davor, also muss ich benennen welche Ausschlüsse passiert sind, aber da sind eben auch die weißen Mitlesenden. Da ist eben auch Divide and Rule. Da ist eben auch die Angst Stereotype zu füttern. Also löschte ich alles Geschriebene, zog mich zurück, leckte die Wunden nur innerhalb der sub-sub-Community, versteckte mich bei queeren Geschwistern, stärkte andere und stärkte mich. Aber es reichte nicht, mir schwirrte weiterhin der Anspruch des Lernens und Lehrens im Kopf herum, warum wird in Communitys immer gefordert, dass eben jene die verletzt wurden lehren sollen, diese aber nie entscheiden dürfen durch Öffentlichkeit zu lehren?
Warum ist die Schuld des Divide and Rule in allen Communitys nicht bei jenen die durch Rassismus, Colorism, Anti-Queerness, Transfeindlichkeit, Sexismus, Klassismus etc. Menschen ausschließen sondern immer bei jenen zu suchen die diese Ausgrenzungen benennen um das eigene Überleben in der Gesellschaft und Community zu garantieren?
Wie lange ist Divide and Rule noch das tragende Argument um Ausschlüsse in unserer Community unbenannt zuzulassen? Wie lange bleibt das weiße/binäre/hetero/konservative Subjekt die Handlungsgrundlage für unseren Umgang miteinander?
Nie habe ich mich sosehr aufgenommen gefühlt in der queeren BPoC Community wie nach diesem Sommer, nie so ausgeschlossen von u.a. weißen monosexistischen Queers. Die Seifenblase in der ich Teil vom Wort Queer in diesem Land bin ist zerplatzt zwischen Rassismus und Monosexismus. Die Worte Liebe und Familie weiterhin beschreibend für meine Schwarzen Communitys, aber nun bitter im Rachen, hoffnungsvoll auf der Zunge und un_sicher im Wort.
»Es wird sich ändern« sag ich und hoffe auf Zustimmung von dir. »Das wird es« sagst du und ich nicke unmerklich. Community ist auch, dieser Moment mit dir, spüre ich im Stillen. Wir beide geben uns Raum und erkennen, akzeptieren und zelebrieren ein_ander im Anders, Audre wäre stolz auf uns gewesen.