Statement zu Pride 2019
Vor 50 Jahre fanden die Stonewall Riots statt. Vor 50 Jahren sind in der USA viele von denen, die vor uns kamen, aufgestanden und zeigten der Welt, dass sie genug hatten. Vor 50 Jahren haben diejenigen, die vor uns kamen deutlich gemacht, wie der Nationalstaat und seine Gewalt als Paradoxon dafür stehen, was echte queere Befreiung wirklich bedeutet.
Während hier in Europa die Legalisierung der Homoehe in vielen europäischen Ländern wie Deutschland und Großbritannien als fortschreitende Befreiung begrüßt wurde, gibt es hier in Europa ein eindeutiges Paradoxon zwischen dem Staat und seinen Bürgern. Dieser Widerspruch ist die Forderung heteronormative, neoliberale, patriarchalische Werte und gleichzeitig die Menschen zu marginalisieren, die nicht in diese Norm passen. Der Nationalstaat muss geschützt werden, um zu existieren. Der Nationalstaat braucht einen „Anderen“, um seine Existenz zu legitimieren. Der Nationalstaat muss gewalttätig sein, um zu sichern, was in seine Norm passt. Um zu existieren muss der Nationalstaat sein Image als moderne, vorwärts gerichtete, progressive Supermacht perfektionieren, während er alles andere als rückständig markiert. Um zu existieren braucht der Nationalstaat die Anpassung an die Kernfamilie. Um zu existieren hält es der Nationalstaat für nötig, seine neu befreiten weißen Schwulen vor dem „homophoben Migranten“ zu schützen. Um zu existieren braucht der Nationalstaat Profit, Ausbeutung und sinnlosen Konsum.
Während also andere heute von 50 Jahren Stonewall profitieren, sind wir heute zusammengekommen, da für uns diese 50 Jahre dafür stehen, wie global Menschen unserer Gemeinschaften immer noch ständig und systematisch leiden. Wir sind hier, weil wir frustriert sind. Wir sind hier, weil wir müde sind. Wir sind hier, weil der Kampf für uns nie vorbei war. Wir sind hier, weil die Normalisierung der weißen, cis-heterosexuellen und patriarchalen Standards hier im Westen und in Europa, auf gewaltvolle Art rassistisch, gewalttätig anders und schädlich für die Menschen unserer Gemeinschaft sind. Wir sind hier, weil Pink-Washing hässlich ist. Wir sind hier, weil wir kein zu vermarktendes Produkt sind, sondern echte Menschen mit Emotionen und Gefühlen. Wir sind hier, weil wir nicht wollen, dass unser Körper als Vorwand benutzt wird, um die Gewalt anderer zu legitimieren. Wir sind hier, weil wir an das Bessere glauben. Wir glauben an einen Standard, der besser ist als der, der um uns herum normalisiert wird.
Und wir sind hier, weil wir uns um unsere Zukunft kümmern. Wenn die Leute uns sagen, dass es größere Probleme als die queere Befreiung gibt, auf die wir uns konzentrieren sollten, dann sagt ihnen, dass das Überleben und die Freiheit unsere Gesellschaft und Menschen von der queeren Befreiung abhängt. Das gleiche kapitalistische, neoliberale Projekt, das die Umwelt um uns herum zerstört, ist das, was uns selbst auch zerstört. Es zerstört unsere Menschlichkeit, unser Mitgefühl und unsere Fürsorge. Es verwandelt Liebe in Gewinn. Es verwandelt Menschen in Marken. Dieses zerstörerische Projekt erhebt seinen hässlichen Kopf durch den Nationalstaat, durch Polizeibrutalität und Gewalt, durch die Überzeugung, dass diejenigen, die Privilegien haben und bequem leben können, davon überzeugt sind, dass dies einfach „der beste Weg“ ist. Es schafft eine Gesellschaft von Menschen in Machtpositionen, eine Gesellschaft von Menschen, die über Handlungskompetenz verfügen, da sie das Privileg haben, gehorsam zu bleiben. Es unterzieht uns einer Gehirnwäsche Kompliz_in davon und apathisch zu sein, nicht nur anderen Menschen in unseren eigenen Gemeinschaften, sondern auch gegenüber der Welt um uns herum. Das ist nicht der „beste Weg“. Es ist hässlich und destruktiv, und um ehrlich zu sein, sind wir viel besser als das.
1973 in der USA, 4 Jahre nach den Unruhen in Stonewall, stand Sylvia Rivera, eine trans-Frau of Color, bei einer Kundgebung für Homosexuelle Rechte auf und rief aus, wie sie den ganzen Tag darum gekämpft habe auf die Bühne kommen zu können, für „deine queeren Brüder und deine queeren Schwestern im Gefängnis“. Es ist fast 50 Jahre her, dass Sylvia dann darüber sprach, wie ihre queeren Brüder und Schwestern “mir jede Woche schreiben und um deine Hilfe bitten“. Es ist 50 Jahre her, seit sie erklärte, dass „ihr alle nichts für sie tut.“ Sie fragte: „Bist du jemals im Gefängnis geschlagen und vergewaltigt worden? Hast du etwas für sie getan?“ Es ist fast 50 Jahre her, seit sie bei einer Kundgebung zu Schwulenrechten aufgestanden ist und ausgebuht wurde, bei dem Kampf darum, auf der Bühne darüber sprechen zu können, dass sie geschlagen wurde, dass ihre Nase gebrochen wurde, dass sie ins Gefängnis geworfen wurde, dass sie ihren Job verloren und ihre Wohnung verloren hatte – für eine queere Befreiung. Es ist fast 50 Jahre her, dass sie darum kämpfte, überhaupt an das Mikrofon zu kommen. Sie schrie und verlangte, dass „ihr alle besser ruhig seid“, nur damit sie das Wort habe, um der Menge vom Kampf ihrer, vor allem trans-Brüder und -Schwestern zu erzählen.
Lasst uns also heute den Menschen, die vor uns mit ihrem Leben gekämpft haben, Respekt entgegenbringen, indem wir uns der Herausforderung stellen und das Mikrofon noch einmal nehmen, solange wir noch unsere Stimmen haben. Lasst uns den Menschen, die jeden Tag mit ihrem Leben kämpfen, Respekt dadurch zeigen, dass wir uns der Herausforderung stellen. Lasst uns für diejenigen eintreten, die ständig sprachlos gemacht werden und keine Unterstützung erfahren, indem wir uns der Herausforderung stellen. Seien wir nicht nachgiebig und mitschuldig und apathisch gegenüber der Gewalt um uns herum. Wir sind besser als das. Pride ist politisch.