9. März 2019

Wall of Shame

Eine Stellungnahme von Gladt e.V. zu einer Dauerinstallation des Schwulen Museums*

In einer Dauerinstallation setzt sich das Schwule Museum* in Berlin mit der Verfolgung von Schwulen und Lesben weltweit auseinander. Hierzu wurde eine Wand gestaltet, die sich im ersten Raum des Museums befindet. Sie nimmt mehrere Quadratmeter ein und dominiert den Raum. Circa 70 (außereuropäische) Ländernamen sind dort abgedruckt. Hinter jedem Namen steht die Strafe, die in dem jeweiligen Land im Gesetzbuch für Homosexualität vorgesehen ist. „Pakistan: Lebenslänglich, nur Männer“, „Nigeria: 14 Jahre Haft, nur Männer oder Steinigung“, „Malawi: 14 Jahre Haft für Männer, 5 Jahre Haft für Frauen“.

Für uns als Gladt e.V. liegt das Problem dieser Wand darin, dass sie an einem sehr sichtbaren Ort des Museums eine einseitige Pauschalkritik vornimmt und jegliche Differenzierung vermissen lässt. Wir finden es wichtig die vielfältigen Bedrohungen, denen Schwule, Lesben und Transpersonen weltweit ausgesetzt sind, sichtbar zu machen, jedoch reproduziert die Wand koloniale Wahrnehmungsmuster und lässt die Betroffenen nicht selbst zu Wort kommen.

Ein blinder Fleck ist beispielsweise, dass die Ausstellung sich nicht für die Auslegungspraxis des Rechts in den jeweiligen Staaten interessiert. In vielen Ländern gibt es jedoch einen Unterschied zwischen der Gesetzgebung und der Durchsetzung dieses Rechts. Darüber hinaus wird an der Wand eine Außenperspektive deutlich, die Gesellschaften stigmatisiert, ohne danach zu fragen, wie Schwulen und Lesben in diesen Staaten tatsächlich leben. Menschen aus diesen Ländern kommen weder mit ihren Erfahrungen und Perspektiven vor, noch werden sie als Besucher*innen des Museums angesprochen. Auf der Infotafel rechts neben der Wand ist zu lesen: „Wie können wir die Regenbogenfamilien in diesen Staaten unterstützen? Sicherlich nicht dadurch, dass wir unseren Urlaub in solchen Ländern verbringen! Wir sollten diese Länder boykottieren!“ Dieses Wir ist in hohem Maße exklusiv. Es meint ein überwiegend weißes Wir, welches sich aus Angehörigen der Mittelschicht zusammensetzt, die es sich leisten können, Urlaub in Ländern des globalen Südens zu machen. Damit schließt es alle Menschen aus, die aus Ländern kommen, die auf dieser „Wall of Shame“ aufgelistet sind. Menschen aus dem globalen Süden, die hier leben, versuchen unter Aufbringung großer Ressourcen durch mehr oder weniger regelmäßige Besuche den Kontakt zu ihrer Familie, ihren Freund*innen und ihrer eigenen Geschichte aufrechtzuerhalten. Der Aufruf zum Boykott ihres Heimatlandes fühlt sich für viele der Betroffenen an wie ein Schlag ins Gesicht. Hierdurch wird das Museum zu einem exklusiven Ort, der uns, die wir teilweise aus eben jenen Ländern kommen, das Gefühl vermittelt, dass unsere Erfahrungen und Wissensbestände irrelevant sind.

Das Museum vergibt zudem die Möglichkeit ein Ort zu sein, der vermeintliche Gewissheiten in Frage stellt und Besucher*innen neue Perspektiven ermöglicht. Stattdessen bewegt es sich im Fahrwasser rassistischer Diskurse und reproduziert Vorurteile und Stereotype. Zudem steht diese Form der Darstellung in der Tradition kolonialer Diskurse, die sich um die Oppositionspaare „despotisch versus verfassungsgemäß“ oder „mittelalterlich versus modern“ gruppieren und die außereuropäischen Gesellschaften als „das ganz andere“ stigmatisieren. Zwar wird auf einer kleinen Infotafel in einem Nebensatz darüber informiert, dass viele der muslimischen Länder „bis ins 19. Jahrhundert eigentlich keine Strafen für gleichgeschlechtliche Betätigungen vorsahen“ und erst mit der Kolonialisierung die Verfolgung von homosexuellen Frauen und Männern begann. Solch ein kurzer Verweis wirkt jedoch in Anbetracht der räumlichen Dominanz der stigmatisierenden Darstellung eher wie ein Feigenblatt, das sich gegen Kritik immunisieren möchte.

Wir weisen in diesem Kontext darauf hin, dass die westliche Vorstellung von Homosexualität als ein die betreffende Person ganzheitlich bestimmender Wesenszug in vielen außereuropäischen Gesellschaften nicht existierte. Die Liebe oder der Austausch von Intimitäten mit Personen des gleichen Geschlechts war beispielsweise in den islamisch geprägten Ländern bis ins 18. Jahrhundert weitestgehend toleriert und wurde nicht zum hauptsächlichen Wesensmerkmal dieser Person stilisiert. Das westliche Konzept von Homosexualität, auf das sich in den hiesigen Gesellschaften so positiv bezogen wird, da es mit Minderheitenschutz und gesellschaftlicher Liberalisierung einherzugehen scheint, hat seinen Ursprung in einem pathologisierenden medizinischen Diskurs im 19. Jahrhundert, der sich sein Objekt erst selbst erschaffen hat und welches – gestützt auf militärische und ökonomische Macht – auf die außereuropäischen Gesellschaften übertragen wurde.

Doch wie kann eine inklusive Museumspraxis hergestellt werden und welche Rolle spielt Repräsentation in diesem Prozess? Wir möchten auf einen Text der Aktivist*in Zoya verweisen, den sie im Zuge einer aktuellen Ausstellung des Schwulen Museums* über die Herausforderung der Inklusion marginalisierter Perspektiven in die Museumspraxis geschrieben hat. Repräsentation, so schreibt Zoya, sei nicht einfach dadurch gegeben, dass eine Aussage getätigt oder eine Person vorgezeigt wird, die die marginalisierte Kategorie erfülle, „sondern dadurch, dass Macht und Ressourcen mit Menschen aus diesen Communities geteilt werden, Inklusivität bedeutet, dass Menschen sich wohl fühlen, wenn sie ihre Bedenken, Wünsche und Meinungen äußern, und dass sie gehört werden, wenn sie es tun.“ Nur so, schreibt Zoya, sei es möglich ein Museum zu schaffen, welches sich nicht nur in Sonderausstellungen mit den Themen Trans, Postkolonialismus oder Race auseinandersetzt, sondern welches diese Perspektiven in seine alltägliche Ausstellungspraxis integriert.

Wir hoffen, dass die Verantwortlichen des Museums diesen Anspruch in Zukunft nicht nur in Begleittexten propagieren, sondern ihn zu ihrem eigenen Anspruch für eine kritische, emanzipatorische Museumspraxis werden lassen. In diesem Prozess stehen wir als Gladt e.V. selbstverständlich als Kooperationspartner zur Verfügung.

Wer ist Gladt?

Gladt e.V. ist eine unabhängige Selbstorganisation von Schwarzen und of Color Lesben, Schwulen, Bisexuellen, queeren und Trans*Personen (LSBTQ) und solchen mit Migrationsgeschichte. Gladt engagiert sich auf unterschiedlichen Ebenen gegen Rassismus, Sexismus, Trans*- und Homophobie, Behindertenfeindlichkeit sowie andere Formen von Diskriminierungen und bietet psychosoziale Erstberatung, Workshops, Gruppenangebote und Fortbildungen an.
Ein besonderer Schwerpunkt der Arbeit liegt auf den Themen Mehrfachdiskriminierung und Intersektionalität.